Totengedenken am 20. November 2016

Totengedenken der DJK Karlsruhe-Ost

am 20. November 2016 um 11:30 Uhr beim Gedenkstein vor dem Clubhaus

 

Liebe Vereinsmitglieder,

ich möchte Euch zu unserer Gedenkfeier ganz herzlich begrüßen und bedanke mich schon jetzt bei Diakon Stefan Baumstark, der ein geistliches Wort sprechen wird und bedanke mich bei Patrick Russ, der unsere Feierstunde musikalisch umrahmt.

Am heutigen Totensonntag, mit dem das Kirchenjahr eine Woche vor Advent schließt, gedenken wir an dieser Stelle traditionell unserer verstorbenen Angehörigen und Freunde. Erstmals 1816, also vor genau 200 Jahren, wurde im protestantischen Preußen im Gedenken an die Opfer der Befreiungskriege gegen die napoleonische Vorherrschaft in Europa dieser besondere Feiertag begangen. Die Begriffe Totensonntag oder Ewigkeitssonntag stehen mittlerweile gleichberechtigt nebeneinander, kennzeichnen jedoch unterschiedliche Ansätze: Für den Totensonntag stehen gleichsam Trauer und Schmerz, für den Ewigkeitssonntag die Hoffnung auf die Auferstehung.

Wir haben uns beim Gedenkstein unseres Clubhauses versammelt, um in Liebe und Dankbarkeit der Menschen zu erinnern, die uns in unserem Leben besonders nahe gestanden haben: Familienangehörige, Freunde, Bekannte und Vereinskameraden. Im vergangenen Jahr stand meine Ansprache unter dem Motto „Von der Kürze des Lebens (De brevitate vitae)“ des römischen Philosophen Seneca und wie der Mensch in der Kürze oder Länge seiner ihm gegebenen Zeit ein gutes Leben führen soll.

In diesem Jahr möchte ich mich den Themen „Trostbedürfnis“ und dem Ort der Toten zuwenden. In einem bemerkenswerten Essay von Jean-Pierre Wils, der am 4. September 2016 im Deutschlandfunk ausgestrahlt worden ist, stellt dieser die These auf, dass das Totengedenken heute diffus und ohne festen Ort geworden ist und somit eine Trostquelle für die Lebenden zu versiegen droht.

Zitat: „Jeder von uns hat im Laufe des Lebens geliebte Menschen verloren. Sie gingen langsam oder schnell, einfach oder schwer, erwartet und unerwartet. Je näher ihr Weggang zeitlich war, umso weniger ließ sich die Frage unterdrücken, wo sie nun geblieben seien. Vieles legte noch Zeugnis ab von ihrer Anwesenheit – ihre Kleider und ihre Schuhe, die Räume, in denen sie gelebt hatten, eine Brille oder ein Schriftstück und Vieles mehr. Wohin sind sie gegangen? Oder gibt es womöglich keinerlei Wohin?“

Das Christentum hat in seiner langen Geschichte den Toten bestimmte Plätze zugewiesen, über die es bestimmte Vorstellungen gab. Auf der einen Seite den Himmel, auf der anderen Hölle und Fegefeuer. Somit war der Verbleib der Toten, mithin der Ort, wo sie sich aufhielten, klar definiert und ein Verschwinden in ein Nirgendwo ausgeschlossen. Die Kommunikation der Lebenden mit den Toten war damit gewährleistet. Trost im Leben hing mit der Gewissheit zusammen, dass die Toten uns nicht den Rücken gekehrt hatten, sie waren uns nur vorangegangen.

Was aber, wenn einst klare Vorstellungen zusammenbrechen? Der englische Schriftsteller Julian Barnes, der sich selbst als fröhlichen Atheisten bezeichnet, hat in einem Essay mit dem Titel „Der Verlust der Tiefe“ anlässlich des Todes seiner Frau das Fehlen einer Perspektive auf den Ort der Toten beklagt und kommt zu einem erstaunlichen Ergebnis.

Zitat: „Als wir Gott getötet – oder verbannt – haben, haben wir auch uns selbst getötet. Ob uns das damals so richtig aufgefallen ist? Kein Gott, kein Leben nach dem Tode, kein wir. Natürlich war es richtig, dass wir ihn getötet haben, diesen alten imaginären Freund. Und ein Leben nach dem Tod hätten wir sowieso nicht bekommen. Aber wir haben den Ast abgesägt, auf dem wir saßen. Und die Aussicht von dort oben, aus der Höhe – selbst wenn es nur die Illusion einer Aussicht war -, war gar nicht so schlecht.“

Mit dieser Aussage über einen nicht existierenden Gott und der damit verbundenen Illusionslosigkeit, gesteht Barnes ein, dass eine völlige Leere im Leben wie nach dem Tod die Konsequenz ist – die Menschen haben den Ast abgesägt, auf dem sie saßen. In die gleiche Kerbe schlägt der amerikanische Schriftsteller und Philosoph George Steiner: „Weder Himmel noch Hölle zu haben bedeutet ja ein Leben im Stadium unerträglicher Entbehrung – bedeutet, ganz allein dazustehen in einer hoffnungslos verflachten Welt.“

Einen Glauben zu haben und einen festen Ort zu kennen, im Leben wie im Tod, ist für die Menschen von grundlegender Bedeutung. Über den Tod zu sprechen, scheint dagegen fast unmöglich, der deutsche Philosoph Ludwig Wittgenstein nannte ihn das „Unaussprechliche“ und dennoch ist er allgegenwärtig, eine unumstößliche Größe am Ende des Lebens. Und wenn das Leben mit dem Sterben zu Ende geht, werden Sterbende und Lebende zu trostbedürftigen Wesen.

Trost brauchen wir, weil sich bestimmte Lebensfragen einer Lösung verweigern. Die Frage, wie wir mit unserem Geborensein, unserem Leben und wie wir mit unserer Sterblichkeit umgehen, lässt sich nur individuell beantworten. Es gibt keine pauschale Antwort, wie wir ein richtiges Leben führen müssen, um am Ende des Lebens auf Trost und Hilfe hoffen zu dürfen. Viele Ratgeber wissen auf viele Fragen alle Antworten – aber passt das auch wirklich für mich? Das einzige, was wir wirklich wissen, ist, dass wir in einer zeitlich endlichen Dimension, Dinge tun müssen, um das Leben zu füllen, das irgendwann – mit einem Mal oder in einem Prozess zu Ende geht.

Doch was ist der Trost und für was ist er gut? Zunächst ist Trost für sich genommen keine Hilfe. Der Trost behebt nicht ein Problem. Er lässt das Leiden nicht verschwinden. Hilfsbedürftig bleibt der Mensch sowohl in als auch nach der Tröstung. Wenn Hilfe gelingt, ist ein Mangel behoben worden, ein Problem wurde gelöst. Diese Wirkung lässt sich im Trost aber nicht erzielen.

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(Bild von 2015)

Dann aber stellt sich die Frage, weshalb wir den Trost aufsuchen, nach einer Tröstung so hartnäckig verlangen und auf sie hoffen. Wenn es da nichts zu lösen gibt, warum sollten wir den Trost dann nicht als Betrug auffassen? Weil der Trost nicht die Zeit des Helfens ist und gelingen kann, weil er im Sinne der Hilfe nicht gelingen muss. Somit hat die Tröstung – anders als das Helfen – vor allem mit einer psychischen Disposition zu tun, und zwar sowohl aufseiten des Tröstenden als auch des Trostsuchenden. Das Trostspenden ist gleichsam ein Reflex aus dem Innersten der Seele und kann genau aus diesem Grund gelingen.

Der Trost kann nichts am Übel abändern, an dem Menschen leiden. Trost lässt das Übel bestehen, aber schafft es, dass Menschen an dem Übel nicht mehr leiden, auch, wenn dieses fortbesteht. Das bedeutet, dass Trost etwas vermittelt, dass Menschen befähigt, ihren Kummer zu ertragen und zu mildern. Er kann den trauernden und unglücklichen Menschen – sowohl bei einer kleinen Verletzung als auch bei schweren Verlusten und den großen Brüchen in der Biographie – etwas entgegensetzen, damit Menschen nicht mehr am Übel leiden. Trost impliziert immer ein Vertrauen und eine Zuversicht in etwas, was neben dem Leiden Bestand hat und den Menschen somit nicht mehr Leiden lässt. Dieses zu erfahren und zu erleben, ist für Menschen eine Hilfe und Ermutigung in ihrem Leid.

Wenn wir uns heute hier beim Gedenkstein am Clubhaus versammelt haben, so hat dieser Ort zunächst etwas symbolisches, aber auch etwas sehr reales. Wir alle wissen, dass dieser Ort nicht der Ort ist an dem sich die Toten aufhalten, aber insbesondere für die verstorbenen Vereinskameraden ein besonderer ist. Wer bedenkt, dass alles was um das Vereinsgelände herum entstanden ist, von Menschen Hand errichtet wurde und von vielen Menschen, die heute nicht mehr bei uns sind, dann haben die Toten des Vereins auch hier einen realen Ort gefunden, an dem sie mit uns kommunizieren. Und wenn wir in der DJK-Gemeinschaft Trost anlässlich des Verlustes von Angehörigen und Freunden hier erfahren haben, dann hat dieser Ort über den Sport- und Spielbetrieb hinaus eine besondere Bedeutung. Als Trostsuchender wurde mir noch nicht mein Leid genommen, aber der Zuspruch anderer, das Vermitteln von Vertrauen und Zuversicht tat meiner Seele gut.

Einen festen Ort zu haben – im Leben wie im Tod – ist ein Grundpfeiler unserer Existenz. Einen Ort zu kennen, wo ich über die Hilfe hinaus, Trost erfahren und Trost spenden kann, ist Erleichterung für die Seele. Beide Orte sind hier vereint. Im Sport und Spiel in der Gemeinschaft der DJK finde ich Menschen an einem festen Ort, der mir halt gibt. Geht es mir schlecht, so finde ich diesen Ort, um Trost zu erfahren.

Die Toten sind uns vorausgegangen. Vielleicht warten sie auf uns. Sie sind vermutlich nicht in der Lage, uns hier und jetzt zu helfen. Die Zeitfüllung gehört nicht zu ihren Aufgaben. Aber trösten können sie. Wer weiß, die Zeit der Erfüllung steht womöglich noch aus.

Auch in diesem Jahr mussten wir wieder von Bekannten, Verwandten und Freunden Abschied nehmen. In erster Linie sind natürlich zuerst die engsten Angehörigen und Verwandten von Trauer und Schmerz ergriffen und es braucht Zeit, diese Trauer zu verarbeiten, um sie überwinden zu können. Immer wieder helfen hierbei Gebete für die Verstorbenen, wie diese bereits bei den frühen Christen überliefert sind. Doch oftmals kann nicht sofort der Glaube an eine Wiederauferstehung über den ersten Schmerz hinweghelfen. Wer aber seinen Schmerz mit anderen teilen kann und wer von diesen anderen in einer Gemeinschaft aufgefangen wird, wird Trost und Zuversicht in die Zukunft gewinnen.

Seit dem ersten Totengedenken an dieser Stelle vor über 40 Jahren haben viele von Euch, die Ihr an dieser heutigen Gedenkveranstaltung teilnehmt, Vereinskameraden und -kameradinnen verloren, die Euch und uns über Jahre und Jahrzehnte begleitet haben. Doch für Christen sind die Gräber von Angehörigen nicht allein Stätten des Trauerns und des Erinnerns, sondern Orte der Hoffnung auf das ewige Leben.

In diesem Jahr erinnern wir insbesondere an:

Franziska Hartmann † 19.2.2016

Alphonse Hollaender † 3.3.2016

Herwig Zech † 18.10.2016

Erna Gottmann † 16.11.2016

Lasst uns einen Moment innehalten.

Wir gedenken heute all jener Menschen, die wir im familiären Kreis, im Kreise von Verwandten, Freunden, Vereinskameraden durch Tod verloren haben. Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten. Wir erinnern an sie und lassen sie damit weiter teilhaben an unserer Gemeinschaft.

Bernd Breitkopf, 1. Vorsitzender